5. November 1998
Der 1. Monolog

Ich merke langsam, wie ich WAHNSINNIG werde, in die Spirale des Grauens hineingezogen werde, nicht mehr heraus kann. Egal wie sehr ich mich bemühe, es reißt an mir, es laugt mich aus, saugt die letzte Vernunft aus mir raus, verschlingt diese und besiegelt somit mein Todesurteil, denn ohne Vernunft bin ich nicht lebensfähig, unfähig zu denken, unfähig zu handeln... Lass mich treiben, immer weiter hinein, immer weiter ins tiefe Leer, in die Unendlichkeit. Mein Schicksal ist ungewiss, doch kaum wird es wert sein zu leben. Es macht mir Angst, dass ich davor keine Angst habe. Was wird mich leiten, lenken in meiner Blindheit der Ungewissheit, in meiner Stummheit der Verzweiflung, in meiner Taubheit für meine eigenen Hilferufe... Ich werde vergehen, akzeptiere es und doch nicht. Ich will nicht in dieser Ungewissheit, das danach betreffend, untergehen, versinken in meinem Sumpf der Verzweiflung, gestürzt in mein Grab, das ich mir selbst schon lange zuvor geschaufelt habe. Ich sehe schon die Krähen sitzen, im Nebel auf düsteren Ästen, auf alten, knorrigen Bäumen, den Zeugen meines Untergangs, die im Nebel hier und jetzt noch mehr schweigen als je zuvor. Ich werde schreien, doch kein laut wird meinen Hals verlassen. Schreie, erstickt im Nebel der Gleichgültigkeit... Einsam, im modrigen Loch sitzend blicke ich hinauf zu den Krähen, die Augen rot, voll Sand, unfähig zu sehen, ein deutliches Bild zu erkennen. Die Krähen blicken auf mich herab, so wie ich versucht habe, sie zu sehen; sie beobachten mich mit geschlossenen Augen, sie flüstern miteinander, doch ich kann sie nicht verstehen, vielleicht lachen sie auch, über mich, über die Welt, über sich selbst, über die Lächerlichkeit dieser Situation, in die ich gestolpert bin, durch mein eigenes Verschulden, durch mein eigenes Wohlwollen...

Ich will weinen, doch sind meine Tränen versiegt, so als ob auch sie mich verlassen hätten, weil ich ja selbst schuld bin, an meinem Tod...
Hunde, schwarze Hunde kommen an mein Grab und sehen auf mich herab, wenn ich nicht da unten sitzen würde, würden sie mich wohl zerreißen und plötzlich weiß ich, warum ich hier bin, warum ich hier in der unwirtlichen Kälte und Feuchtigkeit sitze. Es war die Angst vor den Bestien des Lebens, vor denen ich zeitlebens fortgerannt bin, sie haben mich gejagt, gehetzt, bis ich nicht mehr konnte, darum bin ich hier... Hätte ich mich gestellt, ihnen in die Augen gestarrt, all meine Angst in Mut und Hass gewandelt, dann wären sie wohl ganz zahm und ungefährlich geworden. Doch ich konnte es nicht, konnte es einfach nicht... Diese Umwandlung hätte mir wohl die ganze Kraft geraubt, und ich hätte nicht mehr aufrecht stehen können; doch, ich hätte sie noch anstarren können... Nun ist es zu spät, schon fallen die ersten Schneeflocken vom düster zugezogenen Himmel; die Krähen zu meiner Rechten verlassen den Schauplatz höhnisch krächzend, die zu meiner Linken bleiben sitzen, bleiben verstummt, sie öffnen die Augen und diese sind leer, sie starren mich an, Milchgläsern gleich.

Es wird erstickend still rundherum, langsam bildet sich eine Schneedecke über der Landschaft, über all dem Leben, doch ich sitze hier und friere, gleichzeitig bereue ich meinen Fehler, doch das will, bzw. kann keiner mehr hören. Noch einmal blicke ich hinauf zu den Zeugen meines Endes, sie zeigen keine Regung, hocken zusammengekauert und erstarrt, und ihr lebloser Blick durchbohrt mich...
Und noch einmal zweifle ich daran, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Ich sammle meine Kräfte, erhebe mich und versuche dem Grab zu entfliehen, doch je vehementer ich es versuche, desto tiefer wird das Loch...

Ich gebe mich geschlagen, denn ich erkenne, dass ich meine Vernunft schon lange verloren habe, also kann ich auch nicht mehr klar denken, ich kann somit auch nicht wissen, dass es noch eine Chance gäbe.. Meine Kleider sind feucht, mein Haar hängt mir in Strähnen ins Gesicht, und ich weine Tränen, die nicht meine sind... Die letzte Trostspende der Erde... Tränen aus Erde und Schnee.. Und als ich mein Haupt senke, wird es noch stiller, so als ob Geräusche nie existiert hätten... Ich schließe die Augen; dies verstärkt erst das Empfinden, wie die Feuchtigkeit und der Moder an mir hoch kriechen, mich umklammern, fest halten... Ich habe keine Angst mehr, denn ich habe keine Vernunft mehr.. Es ist kalt und vielleicht zittere ich auch, doch es ist mir egal. Gleichgültigkeit macht sich in meinem Grab breit, so wie der Schnee, der sich am Boden sammelt.. Wenigstens dieses hat etwas tröstendes an sich.. Ich mache mir keine Sorgen mehr...; langsam stirbt mein Körper und erstarrt. Zuletzt sterben meine Augen, nachdem ich sie noch einmal geöffnet habe, um mir selbst Lebe wohl zu sagen,...

...dann ist es still...

 Lautlos erheben sich die Krähen in die Lüfte, wo sie schon nach kurzem außer Sichtweite sind.

...doch das ist egal, denn es existieren keine Augen mehr die ihnen nachsehen könnten...

 

Ich wache plötzlich auf, schrecke auf wie aus einem Alptraum. Ich spüre noch die Feuchtigkeit, den Moder, der an meinem Körper haftet. Doch gleichzeitig merke ich auch, dass sie langsam die Umklammerung lösen, sich zurückziehen in die Ritzen des Holzbodens, auf dem ich sitze, doch ich spüre auch, dass sie noch da sind, versteckt unter den Latten, versteckt unter einer scheinbar heilen Welt. Und das spüre ich tief in mir, dass sie dort unten, im Ungewissen, lauern und nur darauf warten, wieder hervorgerufen zu werden. Macht es mir Angst? Vielleicht nicht, weil ich mir der Gefahr voll und ganz bewusst bin. Für einen Moment vergesse ich ihre Anwesenheit, denn meine Aufmerksamkeit ist nun auf die Umgebung, in der ich mich befinde, gerichtet.
Es ist still, doch daran habe ich mich schon gewöhnt. Ich kann aber mein Herz schlagen hören, und werde mir zum ersten mal bewusst, dass ich es habe, dass es ein Teil von mir ist. Ich wundere mich, das es mir nicht schon früher aufgefallen ist... seltsam. Mein Gehör hat sich sensibilisiert, ich kann das Blut in den Adern pulsieren hören, wundere mich über meinen Körper, über all das Alltägliche, das mir aber nie bewusst geworden ist...
Nun sitze ich hier auf den Holzbrettern, regungslos, um zu lauschen, ich wage nicht zu atmen, weiß eigentlich gar nicht, ob ich seit dem Zeitpunkt, an dem ich aufgewacht bin, geatmet habe. Es erschien mir nicht wichtig, nicht elementar. Doch ich merke, dass auch das ein Teil meines Körpers ist. So mache ich den ersten Atemzug..., wie ein Kind bei der Geburt. Und ich spüre, wie mich jeder Atemzug mit Leben füllt, mich stärkt.. Ich brauche einige Zeit um aus dem Staunen herauszukommen. Wo bin ich? Diese Frage hat mich noch nicht beschäftigt. Ich denke nach, um diese Frage zu lösen, und bemerke dabei, dass meine Vernunft zurückgekehrt ist; denn ohne Vernunft kann ich nicht denken, kann nicht sein. Doch wo war sie, wo war sie als ich dort draußen allein im Grab saß und verzweifelte, weil ich nicht denken konnte? Ich grüble so lange, bis ich zu dem Schluss komme, dass ich sie mit jedem Atemzug aufgesogen habe, also war sie immer da, immer anwesend, nur hatte ich im Moment der Verzweiflung vergessen zu atmen. Es beruhigt mich, denn jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass sie immer bei mir ist,  muss nur wissen, wie ich sie aufnehme...
Nun erst öffne ich meine Augen, sie waren zwar schon geöffnet, nur gesehen habe ich nicht, denn ohne Vernunft konnte ich nichts erkennen.
Wände, alte Wände, verstaubte Wände, graue Wände, keine Möbeln..., leerer Raum in Stille! Ein Fenster..; ein altes Fenster durch das schon lange kein Auge mehr gesehen hat.. Lichtschein fällt herein.., schwach und doch so grell.. Ein Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit, ein Ort des Friedens, der Wärme.. Ich will ins Licht um zu erkennen, vieles zu verstehen, doch ich kann mich nicht erheben, kann nicht gehen. Und gleichzeitig fühle ich die Lebensenergie, die dort im Licht verborgen liegt... Ich verspüre den unerträglichen Drang, ins Licht zu gelangen, aus der Kälte ins Licht, die Wärme auf der Haut spüren, falls ich das nicht schon verlernt habe. Und während ich darüber nachdenke versuche ich in den Lichtfleck zu gelangen...
Ich krieche förmlich...
Ein Stück noch...
Gleich hab ich’s geschafft...
Schon als ich die Hand ins Licht strecke, fühle ich die Energie, die sich an diesem Ort gesammelt hat, wahrscheinlich schon lange da und doch noch nicht verstaubt... Nicht wie der Rest des Raumes. Ich habe es geschafft, bin endlich in die Helligkeit gelangt, spüre, dass ich hier verweilen will, diesen Ort nicht mehr verlassen will.. Von Wärme erfüllt zu sein, scheint nun das wichtigste in meinem Leben zu werden... Ich taue auf, so als ob ich seit Jahrzehnten gefroren gewesen wäre, wie eine Blume, die von Schnee und Eis überrascht worden ist und nun wie im Frühling auftaut. Doch es ist nicht Frühling, das spüre ich und meine Vermutung bestätigt sich auch, als ich es endlich geschafft habe, mich zu erheben und auf die Fensterbank gestützt am Fenster stehe und nach draußen schaue. Eine Gartenlandschaft, erstarrt in der Umklammerung des Winters, kahle Bäume, wieder agieren sie als stille Zeugen in einer stillen Zeit.... Eine Allee, die einen Weg säumt,  der vom Haus ins Ungewisse führt... Ein Schotterweg bedeckt von einem weißen Schleier aus Eiskristallen... Schwaches Licht, und doch hell genug... Hell und warm genug um scheinbar meine Seele zu heilen. Bei dem Anblick dieser Landschaft verspüre ich innere Ruhe, als ob ich mit ihr zu einer ausgeglichenen stillen Einheit verschmelze.. Diese friedliche Stimmung beginnt meine innere Unruhe zu dämpfen..; sie gleichen sich aus, doch eine Gefahr besteht, nämlich dass sich diese Eindrücke aufheben und zurück bleibt NICHTS, wieder LEERE. Ist es ein Teufelskreis? Bin ich in eine Sackgasse geraten? Ohne Ausweg? Mit keinem Ziel vor Augen, als eine unüberwindliche Mauer?
Und wieder frage ich mich, was ich falsch gemacht habe. Die zweite Chance scheint schon wieder in Ratlosigkeit zu enden.. Also führt die Allee nicht in die Unendlichkeit, sondern findet ein jähes Ende... Aus! Es geht nicht weiter.. Doch das sind nur Spekulationen, wirre Gedanken, die mir nicht weiterhelfen, mich zu keinem Schluss bringen;... ich muss es selbst heraus finden... Ich muss den Weg selbst erforschen, Gedanken, voreilig geschlossen, sind da als Wegbereiter nicht zu gebrauchen... Es stellt sich mir nur die Frage, ob ich schon stark genug bin, um es allein zu schaffen, mir alleine den Weg zu suchen, kann ich es versuchen? Ich muss wohl! Denn sonst bleibe ich hier in diesem Raum für die Ewigkeit in Ungewissheit sitzen.. Doch was erwartet mich draußen? Und mir wird klar, dass auch da draußen Ungewissheit regiert. Ich habe die Wahl zwischen zwei Arten von Ungewissheit, die sich ähnlich sind, und doch grundverschieden. Und plötzlich überkommt mich Freude, Aufregung,... Ich werde es versuchen! Aufbruchstimmung macht sich breit. Ich sehe die Tür vor mir, mache einen Schritt, den zweiten Schritt, mit jedem Stück, das ich weiterkomme werde ich stärker, fühle mich jünger, voller Leben. Die Tür ist erreicht; wieder erfasst mich ein beängstigendes Gefühl, eine Frage schwirrt mir durch den Kopf..; ist die Tür verschlossen? Was wenn sie es ist? Ich sehe den Raum als mich selbst, ich wäre in mir selbst gefangen und könnte nur insofern Lebenszeichen von mir geben, indem ich am Fenster stehe und traurigen Blickes nach draußen schaue. Doch würde das etwas bewirken, bzw., bezwecken? Ist doch die Welt blind für langsam, lautlos verschwindende Augen, in einem blassen Gesicht hinter einer Scheibe eines Fensters, das der einzige Blick zur Außenwelt ist, heraus aus den Räumen und Gängen, die ich mir selbst erbaut habe, in Zeiten der Angst, um mich zu verschanzen...

Und wieder sitze ich in meinem selbst geschaufelten Grab... Warum habe ich mir selbst diese Zwänge und Einschränkungen auferlegt? Um mich selbst für meine Fehler und unbegründeten Ängste zu bestrafen?

Ich tu es einfach und meine Hand greift zitternd nach dem schon verrosteten Türknauf.. Den Atem anhaltend versuche ich die Tür zu öffnen... Sie öffnet sich allmählich... ich atme auf.. Verwirrende Gänge erstrecken sich vor mir, doch ich kenne den Weg, besser als mich selbst und..
Ich bin bei der Tür nach draußen angelangt... Jetzt fällt mir ein, dass ich diesen Weg früher oft gegangen bin als ich noch konnte... Doch das spielt jetzt keine Rolle mehr, denn ich stehe nun vor dem Haus. Ich sehe mich um, und das was ich sehe, ist mir vertraut. Und ich erinnere mich an Zeiten, als das alles noch blühend war, ein prachtvoller Garten mit Marmorstatuen, schneeweiß, die hier überall standen, nun zerbrochen, abgeschunden, ergraut, nichts sagend... Kalte Fratzen, hämisch lachende Gesichter; schon wieder dieser Hohn. Ich kann nichts ehrliches erkennen, rein gar nichts! Und irgendwie ist es mir gleichgültig. Ich brauche sie nicht, glaube auch, ohne sie klar zu kommen, ...glaube ich zumindest.. Ich war mein Leben lang ein Einzelgänger, unerreichbar fern für alle um mich herum, ich wollte keine Hilfe, ich wollte kein Verständnis.. Doch jetzt steh ich hier allein, fühle mich verlassen obwohl ich zuerst glaubte, nein, ich war mir felsenfest sicher, dass es mir egal ist und dass ich das unbeschadet überstehen würde. Doch muss ich ehrlich zu mir selbst sein; es nagt an mir... Ich stehe hier im Schnee, Kristalle haben sich in meinen Haaren verfangen.., voller Sehnsucht blicke ich hinauf zum Licht, ja, das Licht ist noch da. Jetzt fühle ich mich noch geborgen, und wiege mich in Sicherheit, doch was, wenn es Nacht wird? Ich habe Angst mein Licht zu verlieren, den einzigen Hoffnungsschimmer in meinem Leben... Heiße Tränen laufen über mein Gesicht, die Augen angsterfüllt, das Gesicht schmerzvoll verzogen... nähere ich mich ein zweites mal dem Loch.. Stehe am Rand und blicke hinunter, sehe mich selbst dort unten liegen, schneebedeckt...; erschüttert mich dieser Anblick?

Mich erschüttert nur die Antwort: Nein! Und plötzlich bemerke ich, dass sich die Krähen um mich versammeln und wieder flüstern sie...

Wollen sie mich auffordern hineinzuspringen?

Sieht ganz so aus...


zurück