Spieglein, Spieglein

Spieglein, Spieglein

"Spieglein, Spieglein"

28.10.2002,Aquarell

28. Oktober 2002, Montag Mittag
11:30
Um 8:30 hier angekommen, stundenlang gewartet.
Blutabnehmdesaster.
4 Stiche.
Ne Leitung die jetzt weh tut.
Wieder Religionsdebatten. Ich glaube, es wäre für mein Überleben besser zu schweigen, denn irgendwie ernte ich doch jedesmal suspekte Blicke auf mein Outing, Atheist zu sein.
HUHuuuuu... ja, es wird Halloween...
Und als die Schwester noch 31ten als Entlassungsdatum angab, nicht wie auf der Neuro versprochen 30ter, wurde mir schon wieder schlecht und mein Krankenhauskoller vom letzten Aufenthalt stellte sich anwidernder- und entnervterweise ein.
Na toll!!!
Zimmer mit zwei Genossinnen.
Noch keine Kontaktaufnahme stattgefunden, abgesehen von ein paar durch den ekelerregend nach Krankenhaus stinkenden Raum geschleuderten Floskeln.
Ich hoffe, ich überlebe das.
Der Einstieg war ja schon mal nicht so unbedingt berauschend.
Mund halten, den Depressionen hingeben und nicht auffallen.
Zum ersten Mal, dass ich mir wünsche, auf der Neuro zu sein.
11:40
Langsam frage ich mich, ob die Sitten auf der Station anders sind als auf der Neuro, noch kein Mittagessen.
Warten.
Na wenn DAS nicht eine WUNDERBARE Art ist, den Aufenthalt hier zu beginnen.
Ich fühl mich jetzt schon völlig angekotzt.
..und die Zeit will nicht verstreichen...
Und er fährt... und ich kann die letzten Nächte nicht bei ihm sein...
Zerreißprobe.
Und den letzten Tag wollen sie mir auch noch nehmen?
Ich will schreien um dieser Ungewissheit zu entfliehen.
Aber die Stille und die Leere haben mich mit Eintritt in diese Hallen mit einem Haps verschlungen.
12:00
Mittag, doch noch.
Wieder jemand, der Blut von mir möchte.
Lage checken und dann davon rauschen, den Chef fragen, was nun zu tun sei.
Wieder warten.
Heute gab's Dany plus Sahne.
Hab ich noch nie bekommen.
Das Warten wird versüßt.
Also Warten.
An mein Herz denken.
Seufzen.
Den Becher Versüßung noch verschonen.
In Gedanken Bahnhofsszene Klappe die Xte durchdenken.
Mal Heulend, mal lächelnd, unentschieden.
Vielleicht wird es hektisch.
Positiv für das Endergebnis oder nicht?
Ach was, geheult wird so oder so.
Scheiße.
Unerträglicher Gedanke, so wie die Tatsache, ständig mit alten pflegebedürftigen und schwerkranken Menschen konfrontiert zu sein.
Da würde ich dann lieber jetzt jung durch meine eigene Hand sterben als so zu enden.
Nein, ich ertrage es nicht mehr.
12:30
Gespräch mit dem Arzt.
Falsche Informationen.
Alles durcheinander.
Alles gestaltet sich plötzlich schwieriger.
Ich hoffe, ich kann eine Lösung finden.
Total durcheinander.
Hauptsache ich bin bei seiner Abfahrt zu Hause.
Der gesamte Körper angespannt.
Pudding.
Ich bekomme Angst.
Der Körper zittert fast unmerklich.
Dämliche Schlagermusik aus dem Radio meiner Zimmergenossin.
Ich möchte explodieren.
Kopfhörer in die Ohren und die Musik auf maximale Lautstärke.
Ich bin sauer, wütend weil ich mit falschen Informationen gefüttert wurde.
Ich möchte meinen Zorn bündeln und auf jemanden richten.
Der Arzt war einfach zu nett.
Kotzen, sagt mein Hirn.
Abschlachten, brüllt es hinterdrein.
Wieder ein Moment mehr, in dem nichts läuft wie geplant und mir das Gefühl des Gefangensein vermittelt.
Nicht gekotzt, nicht geschnitten, soll ich mich loben?
13:00
Der erste Tag, ein langer Tag.
Diese Kotzmusik dringt an den Kopfhörern vorbei in meine Ohren.
Geht’s vielleicht noch lauter?
Autoaggression.
Wie wunderbar, jetzt eine gefährlich schimmernde Rasierklinge zwischen meinen Fingern zu spüren, sie in mein Fleisch sinken zu lassen, bis mein Körper weinen kann.
Ihr findet keine Vene?
Ich könnte euch zeigen, wie schön mein Körper bluten kann...!!!!
Irgend ein Ding implantieren.
Meinen ohnehin schon nicht sonderlich liebenswerten Körper noch liebensunwerter machen.
Zerrissenheit.
Einsamkeit.
Und vor allem Unzufriedenheit.
Krebs im Zimmer.
Gezwungenes Schweigen, kein Humor, kein Lachen.
Nicht mal Depression.
Nichts.
Aber das kenne ich ja schon.
Mein Zorn versandet allmählich in Gleichgültigkeit.
Das einzige was hier irgendwie Leben heuchelt ist die falsche Fröhlichkeit, die aus dem Radio dröhnt.
Der MP3-Player wettert dagegen an mit tiefen, düsteren, aber ehrlichen Klängen.
Eine halbe Stunde verstrichen, warten auf die Infusion.
Langeweile.
Warten warten warten... ich kann's nicht mehr hören!!!!
19:30
Wieder in Tränen aufgelöst.
Keine Endoxantherapie, sondern morgen eine OP.
Ich bekomme irgend so ein Portadings gesetzt, unter dem Schlüsselbein.
Das soll mir das Venendesaster in Zukunft ersparen.
MIR? Eher den Ärzten.
Mit Vollnarkose, Schlauch in den Schlund und so leckeren Sachen.
Ich hab Angst, ob es keine Fehlentscheidung war, dem ganzen zuzustimmen.
Ich hab Angst, dass ich mich dann noch mehr hasse weil ich dann noch hässlicher aussehe.
Was hab ich bloß gemacht?
Und doch ist mir nur nach Heulen zu mute, weil ich ständig an Sebastians Abfahrt denken muss.
So viele Fragen und Ängste irren durch meinen Kopf.
Die Geisterstimmung im Zimmer war auch nicht zu ändern, ich geb' es auf.
Und hülle mich nun in depressives Schweigen.
Ein gutes hat das ganze: Morgen kein Frühstück und kein Mittagessen.
Ich bin doch KRANK!!!!!!!!
Ich möchte mir den Schädel einschlagen, und frage, was mein dummer Kopf da schon wieder mit sich machen lässt.
Ich hoffe schlafen zu können, damit das ganze bald sein Ende findet.
Und ich meine Zimmernachbarin nicht mehr husten hören muss.
Ich hoffe, dass ich morgen gleich einschlafe und nicht mehr viel mitbekomme.
Mich kotzen die Tage hier an.
Ich hätte doch die Ohropax einpacken sollen...
Und wieder Schmerz tief in der Brust...
Werde ich seine Abfahrt überleben?
Klar, aber dennoch macht es mir Angst.
Immer wieder das selbe Gefühl, der selbe Gedanke, die selbe Angst.
Es tut weh.
Auch das Gefühl, dass hier mit meinem Körper wieder mal gespielt wird und ich ohnmächtig zusehen muss.
Zusehen muss wie er noch hässlicher gemacht wird...

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