VErfall, Krankenhauslivebericht, Danach -Kortisonstoßtherapie bei MS Schub 2004

23. Juni 2004, Mittwoch

 

9:50
Fix und fertig abgepackt sitze ich in der Chirurgie Ost (die Fieserweise bald geschlossen wird), Zimmer 46, 1. Klasse mit Glotze und zwei Betten und warte auf meine Abschlachtung.

Ich konnte nicht mal zu ende schreiben, schon ging es in den OP.

Die OP dauerte ne dreiviertel Stunde (Oberwart: fast 2!!!!!).. Während dieser erklärte mir der Chirurg dass er das hässliche Gewebe wieder ausschneiden würde, aber die neue Wunde dadurch noch länger werden würde und er befürchte dass es wieder so vernarben würde.. Soviel Ehrlichkeit find ich gut, ich fühlte mich sehr wohl während der OP, sehr geborgen, der Radiosender stimmte auch...
Ich wollte nach der Implantation schlafen aber es ging nicht wegen der Mutter meines kleinen Zimmergenossens. Wir quatschten die ganze Zeit und stellten unheimlich viele Parallelen fest.
Am Abend wurde er entlassen und ich war allein. So musste ich Fußball gucken, ich!!!, freiwillig! Ich war danach richtig gefrustet und die Schmerzen wurden sehr stark... Hab dann ein Mittel bekommen, irgendwann hörten die Schmerzen auf, gekotzt hab ich auch nicht...

  


24. Juni 2004, Donnerstagmorgen
Ich verbrachte die Nacht in einem Zustand der durchwachten Starre. Meine Hände zittern etwas und sind schwach. Die Wunde ist sehr lang: Was lasse ich noch alles über mich ergehen?
Schien doch der absolute Nullpunkt gestern bereits erreicht....


28. Juni 2004, Montag
9:25
Wieder warten, die Meditationsmusik dudelt und blubbert idyllisch vor sich hin, die Bilder der krebskranken Frau aus der Doku heute morgen immer noch im Kopf, verkrampftes Baucheinziehen, leider gibt es keine Technik dieser Art für die Oberarme, wie ärgerlich. Aber irgendwie ist mir ohnehin alles unheimlich egal, die Fettverteilung, die Narbe... Und da ertönt mein Name über den Lautsprecher und ich nehme im Therapieraum zwischen all den Todkranken auf einem der stylischen, rosa-grauen Stühlen Platz. Warten.
Ich nehme vorsorglich den Verband ab; starrende Runde.

Stellenweise optimismusfördernd zusammengewachsen, klafft die Wunde an den Enden und in der Mitte bereits wieder bedrohlich auseinander. Doch etwas Gutes gibt es zu berichten: Der Katheder spendet Blut, sehr viel versprechend.

Korti 2 quetscht sich in meine Blutbahnen und verdrängt alles was an Leben noch vorhanden war. Tiefe E-Gitarren brüllen mir ins Ohr und holen die Sehnsucht nach ausgiebigem Laufen aus der Krankheitsbedingten Mottenkiste hervor. Ich fühle meine Muskeln, die Parästhesien sind am Abklingen und geben mir happenweise meine Kraft zurück. Wenn der Katheder nicht wäre, nicht die Angst vor einer schon längeren, aber dann noch breiteren und hässlicheren Narbe, die Stabilität wäre wieder mein. Wie lange kann ich mich, meine wieder neu auferstandenen Energien bändigen? Spätestens die nicht mehr passenden Laufsachen holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Doch spielt das jetzt im Augenblick eine Rolle? Jetzt, da es mir förmlich in den Beinen kribbelt und mir meine Laufmusik ins Blut übergeht?


29. Juni 2004, Dienstagvormittag
10:25

Nach einer 2. Punktion lief es, kurzfristig. Was, frag' ich mich, was hab ich verbrochen? Doch meine permanenten Gotteslästerungen? Oder bohrt der Kater gerade seine Krallen in meine Schuhe, um es mir mit Katzenwoodoo heimzuzahlen?
Warten auf den Arzt. Warten, Warten, Warten, ich sollte ein neues Wort kreieren, das auf meine Maßstäbe ausgerichtet ist und alles umfasst und definiert, was in ein "BIBI-Warten" einfließt. DAS Ultimativwort schlecht hin!
Die Nadel penetriert mich mit fiesen Schmerzen.
Nach einem Blick des endlich eingetroffenen  Profis die Diagnose: Der erste Punktionseinstich penetriert mich mit fiesen Schmerzen.
10:50
Nachdem die Flasche Rügenderweise kurz übers Knie gelegt worden war, geht es fröhlich blubbernd weiter. Die Molke schmeckt bitter, wer hätte DAS gedacht? *hust*
Ach, morgen noch und wieder mal überstanden und das eigentlich richtig gut, abgesehen von diversen Stechereien oder etwa 10 cm langen Narben im Dekoltèbereich. Hoffentlich ohne all zu wütende Schlaflosigkeit. Warten, wie sehr hasse ich dieses Wort mittlerweile und alles was es mit sich bringt. Warten= Lebenszeitverschwendung. Die Flasche scheint nicht leer werden zu wollen, das Drama scheint nicht enden zu wollen. Wieder ein Krampf im linken Bein vom ewigen Rumhocken.
11:10
Noch nicht mal die Hälfte, wäre alles gut gegangen wäre ich gleich fertig gewesen.

Morgen noch..... morgen noch....


30. Juni 2004, Mittwoch
Es gleicht einer Tragikkomödie was sich hier abspielt, wenn es um eine klitzekleine Blutprobe geht.
Nein, der Katheder hatte heute frei.

"Alles noch so frisch...", murmelte der Arzt, dem sich mittlerweile alle Härchen aufstellen wenn er mich sieht. Also wieder eine neue Venenodyssee. Er bohrte drei Minuten lang an einer Stelle meiner Handoberfläche herum, doch es geschah gelinde gesagt gar nix! Gut 15 Minuten tastete er meinen anderen Arm ab, total gefrustet, entnervt, ich sparte mir diverse Aufmunterungsversuche und hielt die Klappe, ab und an schwer seufzend. Er entschied sich, arteriell abzunehmen... Und plötzlich erinnerte sich mein Körper und ich spürte wieder diesen massiven Schmerz in meinen Handgelenken, als 2002 diese masochistische und sadistische Turnustante mich nach 12 vergeblichen Stichen am ganzen Körper mit einer arteriellen Blutabnahme an beiden Handbeugen verwöhnte. Der Schmerz hielt unverändert 2 Wochen lang an und die Erinnerung lässt sich schwer verdrängen.

Der Arzt stach zu und traf Unverhoffterweise auf eine tiefer liegende Vene und ich hielt den Atem an ehe alle Glasröhrchen voll waren. Er war selbst sehr erstaunt über seinen unerwarteten Fund. Noch mal Schwein gehabt. Doch wie soll das bloß weitergehen? Wird der Katheder irgendwann einwandfrei funktionieren?

Die Migräne ist wieder da, mein Magen schmerzt und ich bin wieder müde (bin ich doch in Folge seit 3 Uhr auf den Beinen), mein Kopf wiegt schwer und ich versuche so gut als möglich eine Position zu finden, in der meine widerwärtigen Speckrollen nicht gar so brechreizfördernd heraushängen, sprich: Ich liege versunken auf dem Therapiestuhl. Halbe Flasche noch und ich fühle mich schrecklich unwohl. Wer weiß was mich heute dazu getrieben hat mich in dieses "süße" Kleid zu quetschen. Wo ist mein 2-Mann-Zelt-Pulli wenn ich ihn brauche? Ich könnte kotzen (der Besuch im Sportladen zuvor und die fachfrauische Beratung der dürren Verkäuferin zur Wahl einer Laufhose hatte bereits gereicht - Ja! Ich fettes Schwein laufe, seit 4 Jahren täglich!! Man glaubt es kaum...) Die Depression, die sich gegen Ende einer jeden Stoßtherapie einstellt, kommt über mich geschwappt und mir hängen die Tränen auf der Nasenspitze.
Herr Karl, der gute Geist der Station, versucht Bonbonausteilend für gute Stimmung und allgemeine Zufriedenheit zu sorgen.

1/4 noch, ein Ende rückt in Sicht.....


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